für mich, für meine Arbeit bedeutende Menschen, wichtige Äußerungen und Texte


 

 

 

Kunst ist schön,
macht aber viel Arbeit.

 

KARL VALENTIN (…)


 

 

 

Es bewegt sich alles, Stillstand gibt es nicht. Lasst Euch nicht von überlebten Zeitbegriffen beherrschen. Fort mit den Stunden, Sekunden und Minuten. Hört auf, der Veränderlichkeit zu widerstehen. SEID IN DER ZEIT – SEID STATISCH, SEID STATISCH –MIT DER BEWEGUNG. Für Statik, im Jetzt stattfindenden JETZT. Widersteht den angstvollen Schwächeanfällen, Bewegtes aufzuhalten, Augenblicke zu versteinern und Lebendiges zu töten. Gebt es auf, immer wieder „Werte“ aufzustellen, die doch in sich zusammenfallen. Seid frei, lebt! Hört auf, die Zeit zu „malen“. Lasst es sein, Kathedralen und Pyramiden zu bauen, die zerbröckeln wie Zuckerwerk. Atmet tief, lebt im Jetzt, lebt auf und in der Zeit. Für eine schöne und absolute Wirklichkeit!

 

JEAN TINGUELY (1959)


 

 

 

 

Wer bloß an einer Pflanze riecht, der kennt sie nicht, und wer sie pflückt, bloß um daran zu lernen, der kennt sie auch nicht.
Die Auflösung der Dissonanzen in einem gewissen Charakter ist weder für das bloße Nachdenken, noch für die leere Lust.
[…]
O ein Gott ist der Mensch, wenn er träumt, ein Bettler, wenn er nachdenkt, und wenn die Begeisterung hin ist, steht er da, wie ein mißratener Sohn, den der Vater aus dem Hause stieß, und betrachtet die ärmlichen Pfennige, die ihm das Mitleid auf den Weg gab.
[…]
Ja! ein göttlich Wesen ist das Kind, solang es nicht in die Chamäleonsfarbe der Menschen getaucht ist.
Es ist ganz, was es ist, und darum ist es schön.
[…]
Was ist alles, was in Jahrtausenden die Menschen taten und dachten, gegen einen Augenblick der Liebe? Es ist aber auch das Gelungenste, Göttlichschönste in der Natur! dahin führen alle Stufen auf der Schwelle des Lebens. Daher kommen wir, dahin gehen wir.
[…]
Auch aus dem erhabensten Nichts wird Nichts geboren.
[…]
Aber aus bloßem Verstand ist nie Verständiges, aus bloßer Vernunft ist nie Vernünftiges gekommen.
Verstand ist ohne Geistesschönheit, wie ein dienstbarer Geselle, der den Zaun aus groben Latten zimmert, wie ihm vorgezeichnet ist, und die gezimmerten Pfähle an einander nagelt, für den Garten, den der Meister bauen will. Des Verstandes ganzes Geschäft ist Notwerk. Vor dem Unsinn, vor dem Unrecht schützt er uns, indem er ordnet; aber sicher zu sein vor Unsinn und vor Unrecht ist doch nicht die höchste Stufe menschlicher Vortrefflichkeit.
Vernunft ist ohne Geistes-, ohne Herzensschönheit, wie ein Treiber, den der Herr des Hauses über die Knechte gesetzt hat; der weiß, so wenig, als die Knechte, was aus all der unendlichen Arbeit werden soll, und ruft nur: tummelt euch, und siehet es fast ungern, wenn es vor sich geht, denn am Ende hätt er ja nichts mehr zu treiben, und seine Rolle wäre gespielt.
Aus bloßem Verstande kömmt keine Philosophie, denn Philosophie ist mehr, denn nur die beschränkte Erkenntnis des Vorhandenen.
Aus bloßer Vernunft kömmt keine Philosophie, denn Philosophie ist mehr, denn blinde Forderung eines nie zu endigenden Fortschritts in Vereinigung und Unterscheidung eines möglichen Stoffs.

 

FRIEDRICH HÖLDERLIN, Hyperion (1795)


 

 

 

Ein Tanzbär war der Kett´ entrissen,
Kam wieder in den Wald zurück,
Und tanzte seiner Schar ein Meisterstück
Auf den gewohnten Hinterfüßen.
»Seht«, schrie er, »das ist Kunst; das lernt man in der Welt.
Tut mir es nach, wenn´s euch gefällt,
Und wenn ihr könnt!« »Geh«, brummt ein alter Bär,
»Dergleichen Kunst, sie sei so schwer,
Sie sei so rar sie sei!
Zeigt deinen niedern Geist und deine Sklaverei.«
[…]

 

GOTTHOLD EPHRAIM LESSING, Der Tanzbär (…)


 

 

 

Die Götter hatten Sisyphos dazu verurteilt, unablässig einen Felsblock einen Berg hinauf zu wälzen, von dessen Gipfel der Stein von selbst wieder hinunterrollte. Sie hatten mit einiger Berechtigung bedacht, dass es keine fürchterliche Strafe gibt als eine unnütze und aussichtslose Arbeit.
[…]
Sisyphos ist der Held des Absurden. Dank seinen Leidenschaften und dank seiner Qual. Seine Verachtung der Götter, sein Hass gegen den Tod und seine Liebe zum Leben haben ihm die unsagbare Marter aufgewogen, bei der sein ganzes Sein sich abmüht und nichts zustande bringt. Damit werden die Leidenschaften dieser Erde bezahlt.
[…]
So sehen wir […], wie ein angespannter Körper sich anstrengt, den gewaltigen Stein fortzubewegen, ihn hinauf zu wälzen […], wir erleben die ganz menschliche Selbstsicherheit zweier erdbeschmutzer Hände. Schließlich ist […]das Ziel erreicht. Und nun sieht Sisyphos, wie der Stein im Nu in jene Tiefe rollt, aus der er ihn wieder auf den Gipfel wälzen muss. Er geht in die Ebene hinunter.
Auf diesem Rückweg, während dieser Pause, interessiert mich Sisyphos.
[…]
In diesen Augenblicken, in denen er den Gipfel verlässt […], ist er seinem Schicksal überlegen. Er ist stärker als sein Fels.
[…]
Sisyphos, der ohnmächtige und rebellische Prolet der Götter, kennt das ganze Ausmaß seiner unseligen Lage: über sie denkt er während des Abstiegs nach. Das Wissen, das seine eigentliche Qual bewirken sollte, vollendet gleichzeitig seinen Sieg. Es gibt kein Schicksal, das durch Verachtung nicht überwunden werden kann. (Darin besteht die ganze verschwiegene Freude des Sisyphos. Sein Schicksal gehört ihm. Sein Fels ist seine Sache.)
Wenn der Abstieg so manchen Tag in den Schmerz führt, er kann doch auch in der Freude enden.
[…]
Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen.
Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.

 

ALBERT CAMUS, Der Mythos von Sisyphos (1942)


 

 

 

MOTTO

 

Laß die Moleküle rasen,
was sie auch
zusammenknobeln!
Laß das Tüfteln,

laß das Hobeln,
heilig halte die Ekstasen!

[…]

Blödem Volke unverständlich
treiben wir des Lebens Spiel.
Grade das, was unabwendlich
fruchtet unsrem Spott als Ziel.

Magst es Kinderrache nennen
an des Daseins tiefem Ernst;
wirst das Leben besser kennen
wenn du uns verstehen lernst.

 

CHRISTIAN MORGENSTERN, Galgenlieder(1905)


 

 

 

Leben wie ein Baum,
Einzeln und frei
,
Und brüderlich wie ein Wald
,
Das ist unsere Sehnsucht.

 

NÂZIM HIKMET, Davet (…)


 

 

 

Hereinspaziert ins Sinngebäude wir schaun uns die Körper an
Denn Dies- und Jenseits sind in allen Körpern zu finden
Die Himmel voller Prunk die tiefgeschnittnen Erden
Die siebzigtausend Scheidewände in allen Körpern zu finden
Die siebenfache Erde und die siebenfache Sphäre der Berg das Meer
Der Himmel die Hölle in allen Körpern zu finden
Der Tag wie auch die Nacht am Firmament der sieben Sterne
Was auf Gottes Tafel hingeschrieben in allen Körpern zu finden
Die Bibel und die Thora der Koran und der Psalter
Was dargelegt in ihnen in allen Körpern zu finden
Wahr sind Yunus Worte bezeugt wird was er spricht
Wo du hinschaust ist Gott in allen Körpern zu finden

[…]

Kommt, lasst uns Bekanntschaft schließen.
Lasst die Dinge schlichter fließen.
Lasst uns in Liebe leben.
Niemand überlebt die Welt

 

YUNUS EMRE, Das Kummerrad (~1300)


 

 

 

Meine Seele ist ein verborgenes Orchester;
Ich weiß nicht, welche Instrumente, Geigen und Harfen, Pauken und Trommeln es in mir spielen und dröhnen läßt. Ich kenne mich nur als Symphonie.

[…]

Millimeter (Wahrnehmung kleinster Dinge)

 

Wie die Gegenwart uralt ist, weil alles, als es existierte, Gegenwart gewesen ist, hege ich für die Dinge, weil sie der Gegenwart angehören, die Zärtlichkeit eines Antiquars und die Wut eines zu spät gekommenen Sammlers auf denjenigen, der mir meine Irrtümer auf die Dinge mit plausiblen, wissenschaftlich fundierten Erklärungen tilgt,
[...]
Das Nutzlose ist schön, weil es weniger wirklich ist als das Nützliche, das sich fortsetzt und verlängert, während das belanglos Wunderbare, das unendlich kleine Glorreiche bleibt, wo es ist, nicht mehr ist als es ist und befreit und unabhängig lebt. Das Nutzlose und das Belanglose eröffnen in unserem wirklichen Leben Zwischenräume einer demütigen Statik.
[...]
Gesegnet sind die Augenblicke und die Millimeter und die Schatten der kleinen Dinge, die noch demütiger sind als sie.
[...]
Ich bin eine aufnahmefähige photographische Platte. Alle Empfindungen graben sich mir unproportional ein, um Teile eines Ganzen zu werden.

 

FERNANDO PESSOA, Buch der Unruhe (1913 -1934)


 

 

 

[…]
Blau ist die Farbe deines gelben Haars.
Rot ist das Girren deines grünen Vogels.
Du schlichtes Mädchen im Alltagskleid du.
Liebes grünes Tier ich liebe dir. […]

 

KURT SCHWITTERS, Die Blume Anna (1919)


 

 

 

 

Du musst das Leben nicht verstehen,
dann wird es werden wie ein Fest.
Und lass dir jeden Tag geschehen
so wie ein Kind im Weitergehen
von jedem Wehen
sich viele Blüten schenken läßt.

Sie aufzusammeln und zu sparen,
das kommt dem Kind nicht in den Sinn.
Es löst sie leise aus den Haaren,
drin sie so gern gefangen waren,
und hält den lieben jungen Jahren
nach neuen seine Hände hin.

[…]
Und dann meine Seele sei weit, sei weit,
daß dir das Leben gelinge,
breite dich wie ein Federkleid,
über die sinnenden Dinge.


Träume, die in deinen Tiefen wallen,
aus dem Dunkel laß sie alle los.
Wie Fontänen sind sie, und sie fallen
lichter und in Liederintervallen
ihren Schalen wieder in den Schoß.

Und ich weiß jetzt: wie die Kinder werde.
Alle Angst ist nur ein Anbeginn;
aber ohne Ende ist die Erde,
und das Bangen ist nur Gebärde,
und die Sehnsucht ist ihr Sinn –

 

RAINER MARIA RILKE, Mir zur Feier (1898)

 



Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehen.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.

Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
und ich kreise jahrtausendelang;
und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm
oder ein großer Gesang.

[…]

Ich liebe meines Wesens Dunkelstunden,
in welchem meine Sinne sich vertiefen;
in ihnen hab ich, wie in alten Briefen,
mein täglich Leben schon gelebt gefunden
und wie Legende weit und überwunden.

Aus ihnen kommt mir Wissen, daß ich Raum
zu einem zweiten zeitlos breiten Leben habe.
Und manchmal bin ich wie ein Baum,
der, reif und rauschend, über einem Grabe
den Traum erfüllt, den der vergangne Knabe
(um den sich seine warmen Wurzeln drängen)
verlor in Traurigkeiten und Gesängen.

 

RILKE, Das Stunden Buch, Das Buch vom mönchischen Leben (1899)

 



Aus unendlichen Sehnsüchten steigen
endliche Taten wie schwache Fontänen,
die sich zeitig und zitternd neigen.
Aber, die sich uns sonst verschweigen,
unsere fröhlichen Kräfte – zeigen
sich in diesen tanzenden Tränen.

 

RILKE, Das Buch der Bilder, 1/2, Initiale (1902)

 



Gieb deine Schönheit immer hin
ohne Rechnen und Reden
Du schweigst. Sie sagt für Dich: Ich bin.
Und kommt in tausendfachem Sinn,
kommt endlich über jeden.

 

RILKE, Das Buch der Bilder, 2/1, Initiale (1906)

 



Wir, in den ringenden Nächten,
wir fallen von Nähe zu Nähe;
und wo die Liebende taut,
sind wir ein stürzender Stein.

 

RILKE (1922)